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Bereits in den 1930er-Jahren beschäftigte sich der Einsiedler Stiftsarchivar P. Rudolf Henggeler mit den innerschweizerischen Anniversarien. Nach eigenen Angaben hatte er 128 Jahrzeitbücher eingesehen und davon nicht weniger als 105 in Maschinenschrift kopiert. In der Innerschweiz gehen die ältesten erhaltenen Jahrzeitbücher auf das 14. Jahrhundert zurück - anfänglich allerdings in geringer Zahl und vor allem für Klöster und Stifte angelegt. In den Pfarreien des Kantons Schwyz beginnt die Herstellung von Jahrzeitbüchern zögerlich im 15. Jahrhundert: Altendorf, Freienbach, Galgenen, Tuggen, Ufenau, Wangen und aus dem inneren Kantonsteil das im Jahre 1500 angelegte Jahrzeitbuch von Morschach. Die meisten übrigen Pfarreien nehmen die Führung von Jahrzeitbüchern erst im 16. oder 17. Jahrhundert in Angriff, oft auch parallel zu den von der Kirche vehement verlangten Führung der Matrikelbücher.
Schlecht bestellt ist es im innerschweizerischen Raum mit der Edition von Jahrzeitbüchern. Was vorliegt, sind wenige ältere und meist unvollständige Editionen, die zudem den heutigen editorischen Grundsätzen nicht entsprechen. Nun ist mit der Herausgabe des Jahrzeitbuches der Pfarrkirche St. Martin Schwyz, aus der Zeit um 1580, ein Zeichen gesetzt: Einer bedeutsamen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quelle kann in der wissenschaftlichen Forschung realiter vermehrt Beachtung geschenkt werden. Denn wenn auch der Zugriff auf das Original stets möglich ist, erleichtert eine einwandfreie Edition und der durch ein geeignetes Beiwerk erschlossene Text nicht nur die Benutzbarkeit, sondern animiert zu neuen Fragen und Arbeitsthesen.
Im Vorspann zur Edition wird zunächst in einem kurzen Abriss die Praxis der Jahrzeitstiftungen und der generelle Aufbau der Jahrzeitbücher erläutert, eine wertvolle Hilfe für den mit Jahrzeitbüchern wenig Vertrauten. Ein Jahrzeitbuch spiegelt trefflich und unverfälscht das Leben einer Pfarrei, das Denken und Handeln der Menschen, die mit ihr verbunden sind, mithin auch den Zeitgeist. Daher bietet der informationsdichte Beitrag von Josef Wiget "Die Pfarrei Schwyz von den Anfängen bis ins 17. Jahrhundert" dem Benutzer, und dies nicht nur dem ortsunkundigen, in der Darstellung der Eckdaten zu den Voraussetzungen und dem geschichtlichen Umfeld einen geradezu unverzichtbaren Kontext zum Jahrzeitbuch. Anhand einer schmalen Quellenlage werden die Grundlinien der Entstehung und Ausbreitung des frühmittelalterlichen Christentums im Raum Schwyz und der vor dem 13. Jahrhundert (Steinen) einsetzende Prozess der Abkurungen aufgezeigt. Zur Sprache kommen der Bau der ersten romanischen, später der gotischen und schliesslich der barocken Kirche, praktiziertes religiöses Leben und die Einbindung der Kirche in die mittelalterliche Rechtsordnung. Wertvoll sind auch die Übersichten über Kirchen- und Altarweihen und die u.a. damit verbunden Ablässe, die Listen der Seelsorger (Fassbind) und der Kirchenfeste. Dass die Schwyzer die Turbulenzen der Reformation in relativer Ruhe überstanden und die Zwinglinaner hierzulande keine Chance hatte, erfährt man gegen den Schluss des historischen Exkurses.
Als Überleitung zu der von Franz Auf der Maur besorgten Edition orientiert ein knapper Abriss über die Handschrift und über den Schreiber der ersten Hand, Kaspar Abyberg.
Die Edition lehnt sich an die heute gültige Editionspraxis an. Ein übersichtliches Layout ermöglicht eine schnelle Orientierung und erleichtert die Lesbarkeit. Die präzis definierten und die gut überblickbaren Editionsgrundsätze lassen es zu, sich optimal in das Original einzufühlen. Sehr wertvoll sind die Anmerkungen, die u.a. prägnant und mit Literaturhinweisen versehen historische Zusammenhänge erläutern. Bemerkenswert ist auch das Beiwerk, das neben einem Glossar, welches einige mittelhochdeutsche Wörtern und Fachausdrücke erklärt, vor allem ein umfassendes Verzeichnis der Personen-, Orts- und Flurnamen bietet. Die Aufnahme der aktuellen und der historischen Namenformen, die Identifikation mancher Personen (Hinweise auf Funktionen, wie ‚Landammann', ‚Kirchenvogt' usw.; bei Frauen ggf. auch die Angabe des angeheirateten Namens) und die Lokalisierung nachweisbarer Orts- und Flurnamen macht das Register zu einem vielfältig verwendbaren Arbeitsinstrument.
Der Text selber enthält eine Fülle an sprachlichen und historischen Informationen, die anregen, spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Lebensformen zu ergründen. In der grossen Zahl der Personennamen liegen die Grundlage, um genealogische Strukturen und familiäre Verknüpfungen erkennen und soziokulturelle Zusammenhänge aufzeigen zu können. Das Kalendarium mit den Festtagen und Vorschriften zur Form des Totengedenkens illustrieren regionales Brauchtum und religiöse Sensibilität. Eine Besonderheit der innerschweizerischen Jahrzeitbücher sind schliesslich die Schlachtenjahrzeiten. An festgesetzten Tagen (für Schwyz vgl. die Einleitung S. 45 f.) wird im Gottesdienst mit Gebeten jener Vorfahren gedacht, die in den verschiedenen Schlachten seit 1315 gefallen sind. Verbunden mit historischen Exkursen (etwa zu den Kriegen in Oberitalien [203 ff.]) nennt das Jahrzeitbuch "dero namen, so uß unnserm landt umbkhommen".
Das sind einige Schlaglichter und Beispiele zur "Verwendbarkeit": Das exemplarisch edierte Jahrzeitbuch Schwyz lädt zu einer spannende Lektüre ein und bildet für die Forschung eine unentbehrliche Quelle. Die Edition weiterer Jahrzeitbücher im analogen Sinne wäre wünschenswert.
Franz Auf der Maur (Bearbeiter). Das Jahrzeitbuch der Pfarrkirche St. Martin in Schwyz. Schwyz 1999.